top of page
AutorenbildAnnett Schpeniuk

Angst, Gewalt, Respektlosigkeit



Alltag für viele Frauen


Vergangene Woche war der Tag zur Beseitigung von Gewalt an Frauen.

Ich weiß ja nicht wie es euch anderen Frauen da draußen ging, ich war jedenfalls den Großteil des Tages wütend. Wütend auf mich, dass ich mich machtlos fühle, wütend auf mich, dass ich mich nicht oft genug gewehrt habe oder in die Diskussion gegangen bin.

Es ist leicht, in Gesprächen über Gewalt gegen Frauen nur auf die Extreme zu blicken: auf körperliche Übergriffe, häusliche Gewalt oder sexualisierte Gewalt. Diese Taten sind sichtbar und entsetzlich. Doch die Wurzeln dieser Gewalt reichen tief in die Strukturen, die durch Sprache und subtile Erwartungen genährt werden.

Subtile Gewalt ist schwer zu greifen, weil sie oft im Alltäglichen steckt. In den kleinen Sätzen, die gesprochen werden, ohne dass jemand zweimal darüber nachdenkt. Doch gerade deshalb ist sie so gefährlich. Sie formt unser Denken und Handeln und das Selbstbild unserer Töchter.

Frauen wachsen in einer Welt auf, die ihnen von Anfang an klarmacht, dass sie sich beweisen müssen – nicht, weil sie talentiert sind, sondern trotz ihres Geschlechts.


Subtile Gewalt: Die Macht der Worte und der Rollenbilder

Deutschland gilt als modernes, aufgeklärtes Land, in dem Genderfragen und Vielfalt zunehmend diskutiert werden. Insbesondere die junge Generation engagiert sich für genderneutrale Sprache, für die Inklusion verschiedener Identitäten und gegen Diskriminierung. Und doch bleiben die traditionellen Rollenbilder hartnäckig, oft verborgen in den kleinen Gesten und unscheinbaren Worten des Alltags.

Was durfte und darf ich mir im Krankenhaus für Sätze anhören:

„Mit Ihnen könnte ich mir die Spritze gleich sparen.“

„Wollen Sie mir nicht mal eine ganz persönliche Pflege verpassen?“

„Kleines, …“

Solche Sätze mögen beiläufig klingen, aber sie tragen dazu bei, sexistische und patriarchale Denkweisen zu normalisieren. Wenn niemand widerspricht oder die Aussage kritisiert, wird die Botschaft vermittelt, dass diese Haltung akzeptabel ist.


Die Prinzessin im Bauch

Es beginnt früh: Sobald werdende Eltern das Geschlecht ihres Babys kennen, bricht die Welle der Klischees über sie herein. Ein Junge? „Ein Fußballspieler!“ Ein Mädchen? „Oh, wie schön, eine kleine Prinzessin.“ Diese Sätze scheinen harmlos, liebevoll gemeint. Aber sie zeichnen von Anfang an ein Bild davon, was von diesem Kind erwartet wird. Die Tochter soll süß, sanft und hübsch sein. Für Jungen hingegen gibt es die Perspektive, stark, mutig und führend zu sein.


Die Frau als zweite Geige

In christlichen Kreisen wird noch immer die Vorstellung gepredigt, dass „die Frau dem Manne untertan sei.“ (Epheser 5,22-24). Die Erzählung von Eva, die Adam zur Sünde verführt, hat historisch dazu beigetragen, Frauen als Verführerinnen und moralisch schwächer darzustellen. Nach wie vor wird in Hochzeitsritualen explizit formuliert, dass die Frau dem Mann gehorchen soll, was eine Hierarchie zwischen den Geschlechtern zementiert. Solche Ideen prägen über Jahrhunderte hinweg nicht nur religiöse Gemeinschaften, sondern strahlen subtil in die Gesellschaft aus. Egal, ob man gläubig ist oder nicht – die Hierarchie der Geschlechter bleibt tief verankert.

Die Zahlen an geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen sind steigend, erst diese Woche veröffentlichte die Bundesregierung ein neues Lagebild.


Gewalt gegen Frauen wird in den meisten Fällen von Männern ausgeübt. Die meisten Täter stehen den Frauen nahe: Partnerschaftsgewalt ist die häufigste Gewaltform und umfasst körperliche, sexualisierte, emotionale, ökonomische und psychische Gewalt. Gewalt in Partnerschaften beginnt häufig mit verbaler Gewalt, die anfangs oft nicht als Gewalt erkannt wird, und eskaliert zunehmend („Gewaltspirale“). Femizide sind die extreme Form dieser Gewalt. 


Wo sollten wir genauer hinhören?

  • „Lass mich das lieber machen, das ist nichts für dich.“ „Frauen sind einfach nicht so logisch wie Männer.“ (Abwertung von Fähigkeiten und Kompetenzen)

  • „Das ist nicht gut für dich, ich sage dir nur, was das Beste ist.“ (Kontrolle durch vermeintliche Fürsorge)

  • „Deine Hobbys sind ja ganz süß, aber bringen die was?“ (Herabwürdigen von Interessen und Wünschen)

  • „Du bist so viel hübscher, wenn du dich nicht so aufbrezelst.“ (manipulative Komplimente)

  • „Du bist wieder zu sensibel, du verstehst das einfach falsch.“ „Reg dich doch nicht über so etwas auf, typisch Frau.“ (Minimierung von Emotionen)

  • „Dein Job ist doch nur ein kleiner Nebenverdienst.“ (Abwertung des Beitrags in der Beziehung)


Was ist die Folge? Das sagt die Statistik:

  • Alle zwei Tage tötet ein Mann seine (Ex-)Partnerin.

  • Jeden Tag findet ein Tötungsversuch statt. 

  • Weniger als alle vier Minuten fügt ein Mann seiner Partnerin Gewalt zu.

  • Alle zwei Stunden erlebt eine Frau sexualisierte Gewalt durch ihren Partner.


Es hat sehr lange gedauert bis ich begriffen habe, dass ich mich nicht vor dunklen Parks fürchte, sondern vor Männern, die die Dunkelheit ausnutzen. Was allein ich in meinem Leben erlebt habe, und ich halte mich für sehr normal, sollte eigentlich niemand erleben müssen. Dabei geht es nicht nur um Vergewaltigung oder den Exhibitionisten, der mir Wald hinterherrannte. Es geht auch um den Oberarzt, der mir während einer Geburt ins Gesicht sagte: “Frauen übertreiben immer mit ihren Schmerzen“ „Mädchen, du siehst ja völlig fertig aus.“  „Das ist nicht ihr Problem, ich weiß, was ich tue.“ Hätte dieser Oberarzt das einem Mann gesagt?

Mittlerweile wissen wir, dass auch die Yogaszene übersät von sexuellen Übergriffen ist. Ein Grund warum ich nur äußerst selten mit „Hands on“ arbeite sind Aussagen wie: „Ich glaube, ich brauche bei dieser Pose deine Hände, um mich gut zu fühlen.“ Oder „Einige Blockaden kann man nur durch körperliche Nähe lösen. Du hilfst mir doch, oder?“

Ich erinnere mich an Diskussionen in unterschiedlichen Teams, die mir als Frau in wiederholt versichert haben, wie „modern“ sie doch seien – und mir im nächsten Atemzug empfahlen, doch „lieber ein bisschen weiblicher aufzutreten, um die Männer nicht einzuschüchtern.“ Was das bedeutet? Nicht zu direkt sein. Nicht zu ehrgeizig. Nicht zu selbstsicher auftreten – stets fühlte ich mich, als müsse ich mich entschuldigen. Aber warum?

47 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

YOGA als Geschäft

Comments


bottom of page